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Der neugotische Altar im Oberelsaffer

„Antoniuskapellchen“ ist älter

Von H.H.Mohr

Der neogotische und sehenswerte Marienaltar aus der ehemaligen Marienkapelle des St. Anna-Klosters der Franziskanerinnen in Remagen in der „Antoniuskapelle“ von Oberelsaff, Gemeinde Vettelschoß, Verbandsgemeinde Linz, ist wohl älter als ursprünglich angenommen. Die Neugotik – auch Neogotik oder Gothic Revival genannt – ist ein auf die Gotik zurückgreifender historischer Kunst- und Architekturstil des 19. Jahrhunderts. Ihre Blüte hatte sie in der Zeit von 1830 bis 1900. Das Gothic Revial begann in Großbritannien bereits um 1720.

Wie aus einer erst kürzlich aufgefundenen und am 17.10.1899 in Remagen  postalisch abgestempelten Ansichtskarte zu ersehen ist, stand der Marienaltar bereits damals in der Marienkapelle des St. Anna-Klosters in Remagen. Er hatte dort noch seinen Platz, als man die Kapelle 1906/1907 in ein anderes Objekt (Neubau) – „eine stimmungsvolle neue Marienkapelle war geschaffen“ – des ehemaligen Kloster-Areals verlegte, das 1976 abgerissen wurde. 1937 ist die Marienkapelle umgestaltet worden.

Abbildung 1

Der Grundstein zum Bau des St. Anna-Klosters in Remagen wurde 1865 gelegt und die Abtei so um die Mitte der 1970er Jahre aus personellen und finanziellen Gründen aufgehoben. Das Gelände diente in den 1980er Jahren zum Bau der so genannten „Chinatown“ von Remagen.

Den Aussagen betagter Schwestern des Konvents um 1969/1970 zufolge soll der Marienaltar aber schon nach 1906/1907 nicht mehr in der Marienkapelle gestanden haben. Die genaue Entstehungszeit und wer den Altar letztlich schreinerte, lässt sich leider nicht mehr mit Bestimmtheit sagen, weil die wesentlichen Annalen im Zweiten Weltkrieg verbrannt sind. Womöglich gehörte der neugotische Marienaltar bereits zur Erstausstattung der Marienkapelle im St. Anna-Kloster in Remagen!

Es scheint nicht unwahrscheinlich, dass der Marienaltar in die Zeit der Ausgestaltung der neugotischen Wallfahrtskirche St. Apollinaris in Remagen (die Grundsteinlegung erfolgte am 22.07.1839 und die Einweihung war am 24.03.1857) zurückgeht und von einem aus der damaligen Künstlergruppe gefertigt wurde.

Die St. Antonius-von-Padua-Kapelle in Oberelsaff wurde in einer sehr schwierigen Zeit am Pfingstsonntag, dem 09.06.1935 durch den damaligen katholischen Pastor in Vettelschoß, Alois Löw, feierlich eingeweiht. Sie gilt heute als eine „Ikone“ im Elsafftal.

Abbildung 2

An diesem Platz in Oberelsaff wollte die Bevölkerung aus Mittelelsaff (Gemeinde Neustadt, Verbandsgemeinde Asbach) und Oberelsaff (beide Weiler gehörten bzw. gehören zur Kirchengemeinde, später Pfarrei St. Michael in Vettelschoß, die 2008 mit der Pfarrei St. Katharina in St. Katharinen fusionierte) zunächst ein bescheidenes „Helijehüßchen“ errichten. Doch weil die Staatsanwaltschaft Koblenz gegen den Vettelschosser Geistlichen am 06.06.1934 aufgrund der Anzeige eines fanatischen Nationalsozialisten aus Vettelschoß offiziell Anklage – nach zweimaliger Ablehnung – erhoben hatte, gelobten die Elsaffer, eine Kapelle zu bauen, wenn der Pfarrvikar den Schlamassel mit der Dorf-Nazi-Clique „heil überstehen“ würde.

Alois Löw (er wirkte von 1930/1931 bis 14.05.1937 als Seelsorger in Vettelschoß) wurde beschuldigt, am Sonntag, 19.02.1933, von der Kanzel seiner Kirche „Heilige Familie“ in Vettelschoß (1974 abgerissen und durch die am 25.09.1977 geweihte St. Michaels-Pfarrkirche ersetzt) verkündet zu haben, „es sei ihm bisher immer noch gelungen, Versammlungen der NSDAP zu verhindern; er werde im Laufe des Tages noch Schritte unternehmen, um eine für Mittwoch, 22.02.1933, anberaumte Versammlung der NSDAP zu verhindern.“

So kam es am Montag, 04.08.1934, zur Gerichtsverhandlung in Neuwied, wobei die Koblenzer Staatsanwaltschaft auf Freispruch plädierte, dem das Amtsgericht Neuwied sich anschloss.

Als der Vettelschosser Priester aufgrund der Aussagen des Kronzeugen (Johann Kröll alias „Krüzchens Hännes“, er war Organist, Dirigent und Leiter des Kirchenchores „Cäcilia“ in Vettelschoß) am 04.08.1934 wider Erwarten freigesprochen worden war, setzten die Elsaffer ihr Gelöbnis, eine Kapelle in Oberelsaff mit eigenen Mitteln zu bauen, umgehend in die Tat um. Von den Zeitzeugen war zu hören: „Es stand Spitz auf Knopf“ um Alois Löw, der vor allem bei der Jugend einen „Stein im Brett“ hatte und für den viel gebetet und eine Novene zur St. Antonius-von-Padua-Kapelle in Erl („Ähler Kapellchen“) abgehalten wurde.

Schon nach seinen ersten Vernehmungen hatte Johann Kröll zu Weihnachten 1933 überraschend von seinem Arbeitgeber, der Kraftversorgung Neuwied, den „Laufpass“ erhalten und blieb – bis nach dem Spuk der Nazis – arbeitslos.

Später meinte Alois Löw († 09.03.1998 im 99. Lebensjahr in Reisbach/Saarwellingen): „In der Nazizeit war der damalige Landrat (Dr. Rudolf Reppert) von Neuwied mein schlimmster Feind und über 2 Jahre stand ich mit einem Fuß im KZ, meine Verhaftung war von dem Kreisleiter (Detlev Dern) schon unterschrieben und meine Gefängniszelle für einen Samstagabend schon bereit.“

Weiter schrieb Alois Löw: „Nach der Gerichtsverhandlung am 04.08.34 trat auf Seiten der Partei (NSDAP) eine Beruhigung ein, obwohl es an erneuten Versuchen, vor allem eines ... aus K. nicht fehlte, doch noch Rache zu üben.“

Im Sommer 1941 schlug der damalige Kreisleiter der NSDAP namens Hörster seinem Landrat (Dr. Reppert) vor, „das Arbeitsdienstlager der Reichsautobahn in Fernthal (Gemeinde Bertenau, später Neustadt in der Bürgermeisterei bzw. Amt Neustadt) zum Unterbringungslager (KZ = Konzentrationslager) für die gesamten Jüdinnen und Juden des Kreises Neuwied“ zu erklären. „Dort sind sie abgeschlossen von der Bevölkerung und man kann sie zu einem gemeinsamen Arbeitseinsatz bei der Reichsautobahn usw. verwenden.“

Abbildung 3

In seiner Antwort vom 05.08.1941 begrüßte Landrat Dr. Reppert zwar diesen Vorschlag, versuchte jedoch die Verantwortung dafür „abzuwälzen“. Seine weiteren Äußerungen zu dieser seinerzeit wichtigen Thematik bestanden aus „Wischiwaschi“. Nach dem Zweiten Weltkrieg bezeichnete Dr. chem. Arthur Rudolf Reppert († 24.04.1968 in Bad Honnef) in einem Interview die „Judenausrottungspolitik Hitlers als einen Irrweg“.

Bei der schlichten und zurückhaltenden Einstellung von Alois Löw bleibt besonders seine Wohltätigkeit erwähnenswert, die sich in der folgenden Episode widerspiegelt: Es mag Spätherbst 1935 oder 1936 gewesen sein, als sich der Pastor in Vettelschoß bei seinem Nachbar, dem Dorf-Schuster Gerhard Plag, Michaelstraße 13, seine vor Wochen nach Maß bestellten und nunmehr fertiggestellten derben sowie naturbelassenen Rindsleder-Schuhe für den nahenden Winter – als es im vorderen Westerwald noch Schnee gab, der meterhoch lag und die Dörfer oftmals tagelang von der Außenwelt abgeschnitten waren – abholte und bezahlte. Ihm folgte auf dem kurzen Weg zum Pfarrhaus ein nicht näher bekannter Bettler, der vermutlich nur ein „Scherflein“ oder warme Winterbekleidung erbetteln wollte.

Vermutlich auf Grund des offenbar mitleiderregenden Äußeren dieses armen Schluckers dachte wohl der geschätzte Geistliche an das Sprichwort: „Schenken tut niemand kränken.“ – Denn Alois Löw schien so bewegt gewesen zu sein, dass er spontan seine nagelneuen und nur wenige Minuten „alten“ Schuhe – die der „Plochs Jerend“ (Plags Gerhard) mit besonderer Sorgfalt für seinen „Pastur“ angefertigt hatte – dem armen „Teufel“ wortlos in die Hand drückte. Der Schuhmacher traute zunächst seinen Augen nicht und dann verschlug es ihm die Sprache, als er den offenbar gut gelaunten und in einer Hand die neuen Schuhe schwenkenden Bettelmann vom Pfarrhaus kommen sah.

Pfarrvikar Friedrich (Fritz) Blanckart in Vettelschoß (vom 29.10.1937 bis 12.04.1946) schenkte den Elsaffern zunächst eine passable Antoniusstatue für ihre „Antoniuskapelle“ in Oberelsaff, um die auf einem einfachen Steinsockel stehende dimensional unpassende Plastik des hl. Antonius von Padua, die von den Schwestern aus dem Linzer St. Anna-Kloster hergeschenkt worden war, zu ersetzen.

Bei der Einweihung der „Antoniuskapelle“ war dieses ursprüngliche Standbild von den Männern aus Mittel- und Oberelsaff mit den Vornamen „Antonius“ (Anton) in die Kapelle getragen worden. Nach dem Krieg kam die Skulptur in die Windhagener St. Bartholomäus-Pfarrkirche und gilt seither als verschollen.

Die Erfüllung der Aufgaben von Friedrich Blanckart während seiner Periode in Vettelschoß (als Viertel am/im Hang schon von den Urahnen indiziert) war noch problematischer und gefährlicher als in der Ära seines Amtsvorgängers geworden. Er stand unter ständiger Observation der Polizei/Partei und musste sich mehrmals gegenüber dem amtlichen Neuwied erklären. Es oblag ihm, die während des Krieges fast zum Alltag zählenden Vermissten- und Gefallenen-Meldungen den Angehörigen zu vermitteln und nachher den im Kriegsschutt zu erstickenden Gläubigen wieder Mut zum Wiederaufbau und Neuanfang zu geben.

Da der Geistliche offensichtlich eine Schwäche für die St. Antonius-von-Padua-Kapelle in Oberelsaff hatte, stiftete er des Weiteren die Kreuzwegstationen, die Herz-Jesu-Statue und die Muttergottesfigur sowie den neugotischen Altar (mit den Insignien „AM“ = Ave Maria, der „Englische Gruß“, mit Krone unterhalb der Altarmensa, die ein unauffälliges, aber leeres Reliquiar enthält), das Antonius-Standbild und ein undatiertes und namenloses Glöckchen, das im Elsafftal nunmehr zu traurigen Anlässen und zum Patronatsfest (13. Juni) inständig geläutet wird.

Alle diese sakralen Preziosen, die der in der Kirchengemeinde Vettelschoß äußerst beliebte und vor allem gesellige Geistliche nach Oberelsaff bugsieren ließ, stammen mit großer Wahrscheinlichkeit sämtlich aus dem früheren St. Anna-Kloster in Remagen. – Pastor Friedrich Blanckart ist am 29.01.1986 in Niederbreisig verstorben.

Bildtexte:

  1. 1.Das obere Bild in der Mitte zeigt – nach der am 17.10.1899 postalisch abgestempelten alten Ansichtskarte – die Marienkapelle des St. Anna-Klosters in Remagen mit dem neogotischen Marienaltar, der sich heute in der schmucken „Antoniuskapelle“ von Oberelsaff befindet. 

  2. 2.Die Marienkapelle mit dem Marienaltar im St. Anna-Kloster in Remagen vor/um 1906/1907. 

  3. 3.Der „Skat-Club M.- Oberelsaff 1927“. Seine Skatbrüder aus Mittel- und Oberelsaff waren die Akteure, die den Bau der „Antoniuskapelle“ in Oberelsaff initiierten und dafür auch die „Solidarhaftung“ übernahmen. V.l.n.r. sitzend: Peter Mies („Mies Pitter“), Oberelsaff; Wilhelm Schneider, Oberelsaff; dahinter Johann Schiefer, Oberelsaff; v.l.n.r: ? (mit Bierflasche); Josef Ewens („Hannes Jupp“), Oberelsaff; Matthias Schäfer, Oberelsaff; dahinter: Kaspar Hoß, Oberelsaff (mit dem Club-Wimpel); dann: Johann (Hans) Mies, Oberelsaff; Wilhelm Heidt, Mittelelsaff (mit Schnapsflasche); dann: ? (mit dem Topf aus „Westerwälder Steingut“ in Händen). – Wer mag da fotografiert haben? 


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