Der Willscheiderberg nach dem Zweiten Weltkrieg

In den letzten Kriegsmonaten des Zweiten Weltkrieges - die Fliegerangriffe auf die Munitionstransporte und die Bahnhöfe in Kalenborn und Vettelschoß sowie auf die Ludendorff-Brücke in Erpel/Remagen hatten zugenommen - musste auch die Tätigkeit am Willscheiderberg eingestellt werden. Bis Kriegsende befand sich am ,Birch` eine Funkstation mit einem halben Dutzend Flakhelfern und Flakhelferinnen - auch Blitzmädchen genannt - und am ,Quirgelstein` (dort wurden einst die Quader aus Tuffstein für den ersten Kirchenbau in Vettelschoß gehauen) war eine Scheinwerfer-Batterie mit etwa der gleichen Stärke postiert. In der ,,Hähn`` - im Wald auf dem Weg zum ,Wellschenderbirch` - lagerte zunächst eine deutsche Einheit mit Pferden, die in Stallungen der Bauern untergestellt waren. Auch eine Feldschmiede befand sich im Dorf. Später wurden diese Militärs ,,In der Hähn`` bzw. ,,Auf dem Fuckenhohn`` von einer motorisierten Batterie abgelöst.

Bei ,,Fucken`` oder ,,Vocken`` oder ,,Fokken`` oder Focken`` könnte es sich um einen abgewandelten Insassennamen handeln, also von einem, dem die eingefriedigte ,,hohn`` = Wies bzw. gabelförmige und gerodete Parzelle (,,Im Hohnen``, ,,Am Hohn`` - Hohnstück - Wies oder Landstück beim Dornbusch oder in der Flur ,,Hagen`` = Hain/Dornbusch mit einer Einfriedung/Verhau) einst gehört hat. Nicht abwegig scheint auch, dass der Eigentümer dieses Gebietes ein früherer Hun- oder Honschaftsführer war. - Die benachbarte Flur ,,In der Hähn`` oder ,,In der Haehn`` oder ,,In den Hähnen`` wird als ,,Haenbuche`` oder ,,Haynboiche`` oder ,,Hagenbuoche`` - Hain- oder Weißbuche gedeutet.

Abbildung 19: Verladerampe in Kalenborn für den Transport des Basalts in Staatsbahnwaggons
(Basalt-Actien-Gesellschaft Linz am Rhein 1888 - 1913)
Image AmRampenStaatswaggons

An Gertrudentag, Samstag, 17.03.1945 -an einem dunstigen und später sonnigen Frühlingstag - nach tagelangem ,Beschuss` - wurden Willscheid und Vettelschoß von der amerikanischen 9. Panzer-Division ,überrannt`. Tags zuvor waren Kretzhaus/ Kalenborn von den ,,Yanks`` (Soldaten des 1./2. Bataillons des 39. Infanterie-Regements) nach ebenfalls schweren und verlustreichen Kampfhandlungen mit den ,,Krauts`` (Deutschen) besetzt worden. Die ,,Hüh`` (Lorscheid/Notscheid) hatten die ,Amis` bereits zwei Tage früher eingenommen. Der Zweite Weltkrieg war nun für unsere Gegend zu Ende und die Wohn- und Wirtschaftsgebäude in der Gemeinde Vettelschoß zu 70 - 72 % zerstört.

Für den Verfasser bleibt unvergessen, als in der Nacht auf den 17.03.1945 zunächst versprengte deutsche Soldaten in zerrissenen Uniformen vom Willscheiderberg kommend im Keller des Hauses Michaelstraße 69 erschienen und sich nach dem Frontverlauf erkundigten. Frühmorgens kamen die ersten GIs und musterten mit einer Taschenlampe die verängstigten und lange Zeit ungewaschenen ,,Bleichgesichter``, die eingepfercht dem Kriegsende und letztlich der Befreiung mit einem zunächst ungewissen Schicksal entgegenzitterten. Wir ,hausten` seit Tagen im schummerigen und klammkalten Keller. An das Kerzenlicht hatten wir uns allmählich gewöhnt. Völlig neu waren die ersten Farbigen, die wir zu Gesicht bekamen und uns mit Kaugummi aus dem Schutzraum lockten. Im Wohnhaus wurde von den Besatzern aus Übersee eine Funkstation eingerichtet und am Hauseingang hatten sie einen Panzer platziert. Das Mündungsrohr zeigte durch die unverglaste Veranda auf den Vettelschosser Bahnhof und die Straße nach Elsaff.

Abbildung 20: Die Verladestelle oder der ,,Rampen`` in Kalenborn diente auch zur Verladung der Basaltprodukte auf Lastkraftwagen. Im Hintergrund eine Werkslokomotive.
(Bild: Häns Mohr, Vettelschoß)
Image AmRampenLkw

Nach einer gewissen Zeit kehrte unter den Dörflern wieder Normalität ein. Die zerschossenen und zerstörten Ortschaften waren kaum wieder zu erkennen. Überall in Wald und Flur lagen tote Landser, die es galt zu bergen und in mehreren Soldatengräbern beizusetzen. Auch am Willscheiderberg - unterhalb des Bürogebäudes - hatte man ein derartiges Soldatengrab eingerichtet, das liebevoll von Maria Walkowsky geb. Mohr, Vettelschoß, gepflegt wurde. Später sind die sterblichen Überreste exhumiert und in die Heimat oder auf den Soldatenfriedhof in Ittenbach übergeführt worden. Es war schon Spätsommer 1945, als die letzte Soldatenleiche in der Gemeinde Vettelschoß im Brombeergestrüpp unweit der Verladestelle am ,Rampen` in Kalenborn geborgen und auf dem Friedhof in Vettelschoß beigesetzt werden konnte.

Rechts vom Soldatengrab am ,Birch` befand sich auch eine ,Schütte`, um Basalterzeugnisse aus Waggons in Anhänger von Traktoren oder LKW zu kippen. - Der Aufenthalts-, Wasch- und Duschraum am Willscheiderberg wurde nach dem Kriege von dem Förster der BAG namens Hafner mit seiner Familie als Wohnung genutzt. Das Fachwerkhaus war von Peter Gärtner und Ehefrau bezogen. Ihn nannte man als Stabsoffizier im Zweiten Weltkrieg landläufig ,Herr Major` , der sich nun als Nachtwächter am Mehr- und Willscheiderberg verdingte. Mit seinem braun-weiß-gefleckten Pinscher sollte der Soldat a.D. am ,Düstermich` auch Wilddiebe stellen. Es war zwar nicht der ,Bock zum Gärtner` berufen worden, doch der Wildhüter kam entweder zu früh oder just zu spät mit seinem verrosteten Drahtesel ,galoppiert`, wenn die Büchse erschallt war. Die Geschehnisse vom Wildschütz Jennerwein hatten sich in dunkler und störrischer Nacht wieder in Wohlgefallen aufgelöst. In Selbstgesprächen des erfolglosen Gendarms fielen der fiese ,Möpp, Löpp oder Stropp` als Betitelung für die entwichenen Bösewichte. Nebenbei züchtete Peter Gärtner weiße Mäuse, die er an medizinische Labors verkaufte. Den Lebensabend verbrachte er in der ,Hüvvelzeck` mit Blick auf die Lehrerwohnung, in der er geboren wurde. Sein Vater (Johann Jacob Gärtner) war über 43 Jahre lang Lehrer in Vettelschoß (1881 - 1924). Auf dem alten Schul- und Kirchenkomplex stand vor 1868 (Gemarkung ,Auf dem Hübelsfeld` und ,In der Hübelsheck`) ein größerer Bauernhof - eher ein landwirtschaftliches Gehöft mit erweitertem Hofraum.

Der ,,Hähnerweg`` - wie jeder den buckeligen und sandigen Zugang zum Willscheiderberg kannte - galt im Winter als eine einmalige Schlittenbahn. Auf ihr konnte von etwa unterhalb der Soldatengrabstätte bis an die St.-Antonius-von-Padua-Kapelle in Oberelsaff durchgehend Schlitten gefahren werden.

Wohl Ende 1945 begannen die Aufräumarbeiten am Willscheiderberg, die kurze Zeit Philipp Groß ( 31.07.1900, 30.09.1986) aus der Kau leitete, bis er als Bruchmeister an den Asberg wechselte. Der Steinbruch war hoffnungslos ,,versoffen``. Bis 1951 arbeiteten unter dem Bruchmeister Peter Mohr nur die ,Werkstätten` mit erfahrenen Handwerkern, die Reparaturen durchführten und damit voll beschäftigt waren. Vor allem galt es, die immensen Wassermassen in monatelanger Arbeit mit zwei bei Tag und Nacht laufenden Pumpen aus dem Steinbruch - der zu dieser Zeit um die 50 m tief war - zu schaffen, das Schienennetz, den Wagenpark und die Lokomotiven zu reparieren.

Am 01.10.1951 wurde die Tätigkeit im Steinbruch wieder aufgenommen. Mit voller Kraft begann die Basaltförderung allerdings erst am 01.01.1952. Die Steinbrucharbeiter schafften in diesem Jahr 7.603 Tonnen an A-Material (Säulen und Satz- oder Setzsteinen) und 67.239 Tonnen an B-Material (Krotzen und Mauersteinen) abzubauen. Dafür zahlte die BAG der Gemeinde Vettelschoß pro Tonne (laut Gemeinderatsbeschluss vom 13.03.1952) für A-Material 0,70 DM und für B-Material 0,16 DM. 1952 wollte die BAG die Gesamtfläche des Willscheiderberges käuflich erwerben, doch der Gemeinderat stellte den Antrag am 21.05.1952 bis zur Ausbeutung des Steinbruches zurück. - Vom 01.01.1956 an hatte die BAG pro Tonne für A-Material 0,85 DM und für B-Material 0,20 DM an die Gemeinde bzw. Amtskasse in Neustadt zu überweisen. An Pacht zahlte die BAG 1956 der Gemeinde Vettelschoß 4.000 DM. Das B-Material bewegte sich durchschnittlich zwischen den Tonnenmengen von 1952, doch die Förderung des hochwertigen A-Materials ging immer mehr zurück. Der Bedarf an Materialien für den Straßen-, Wasser- und Befestigungsbau war rückläufig. 1957/1958 kam es zeitweise zu Kurzarbeit. Im Jahre 1968 wurden nochmals 2.676 Tonnen an A-Material und 58.918 t an B-Material mit um die 20 Beschäftigten gefördert. Der Basaltabbau im Steinbruch war in diesem Jahr auf Baggerbetrieb umgestellt worden. Nach und nach erfolgte der gesamte Abtransport der Steine vom ,Birch` mit speziellen LKW an den Mehrberg oder direkt zur Schiffsverladung nach Linz.

Nach alter Bergmannstradition sprachen die Arbeiter - bevor sie sich werktags zu jeder Witterung über die lange Treppe an die harte Arbeit im Steinbruch des Willscheiderberges begaben - im so genannten ,Aufenthaltsraum` in Anwesenheit der Meister ein kurzes Gebet zur Vermeidung von Unfällen. Vor 1938 (Bau von Büro mit Aufenthalts-, Wasch- und Duschraum sowie Tee-/Kaffee- bzw. Wärmeküche für die Henkelmänner) fand man sich in der ,,Menage`` zu Stoßgebeten zusammen. Von den Steinbrucharbeitern war die Treppe morgens, mittags und nach der Arbeit zu begehen; denn das Mitfahren auf den Wagen war zu unfallträchtig und grundsätzlich verboten.

Durch das Aufkommen an Steuern, Förderabgaben und Pacht von der BAG und dem Schmelzbasaltwerk ,entpuppte` sich die Gemeinde Vettelschoß nach 1951/1952 rasch zur ,reichsten` Kommune der Bürgermeisterei Neustadt. Noch 1953/1954 war der Amtsrentmeister auf die Eingänge der Schecks aus Linz und Kalenborn angewiesen, um die Löhne der Gemeinde- und Waldarbeiter sowie die Gehälter der Bediensteten des Amtes fristgerecht auszahlen zu können.

Als Stift oblag mir seinerzeit auch ab und an in einer alten und vergriffenen Aktentasche das Bier für meinen fachlich versierten, aber durstigen Lehrmeister in das altehrwürdige Gemäuer des Bürgermeisteramtes zu schleppen. (Von 1229 bis 1875 stand dort die erste überlieferte Steinkirche, die das Grafenpaar Mechthild und Heinrich III. von Sayn wohl aus Dankbarkeit für dessen glückliche Heimkehr vom 5. Kreuzzug, 1217 - 1219 / 1221, erbauen ließ.) An einem düsteren und ungemütlichen Wintertag wurde ich von meinem ,Herrn und Meister` vom routinemäßigen Botengang mit einigen in der ,,Weiherau`` beschafften Flaschen einer bestimmten sauerländischen Biersorte - fast ,verdurstend` am Tresen der Amtskasse stehend - erwartet. Sein damaliger Kumpan - ein witterungsbedingt arbeitslos gewordener mit einer rauen Schale und einem weichen Kern ,amtsbekannter Waldknecht` - begrüßte mich bierernst mit: ,,Noch so ein Stuhlfurzer``! - Er konnte bis dahin nicht wissen, dass ich mit meiner vergriffenen ,Mappe ohne Akten` den Biernachschub sicherstellte.

Abbildung 21: Die Betriebsstätte ,Mehrberg` oder ,,Düstermich`` mit einem Steinbruch, einer modernen Brecheranlage und einer Seilbahn an den Rhein.
(Bild: Matthias Ewenz, Linz)
Image BrecherwerkMehrberg


Hans Heinrich Mohr, März 2004
Diese Broschüren zur Heimatgeschichte der Gemeinde Vettelschoß sind beim Autor erhältlich.